Jolly Rouge und der Alte Meister

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War es das Comeback des Jahres des Magischen FC gegen die Münchner Löwen? War es Kruses Solo über den halben Platz zum 4:2-Endstand? War es die Rückkehr des Jolly Rouge oder der unglaubliche Support am Millerntor, selbst nach einem 0:2-Rückstand. Es gibt viele Gründe, warum das Spiel gegen 1860 für viele St. Paulianer (und zweifelsfrei auch für die Gästefans) unvergesslich bleiben wird.

Dabei hatte es für mich persönlich ziemlich stressig angefangen.  Erst die Zaunfahne bei den anderen Nord Supportlern abliefern, dann zum Fanladen, um das Solishirt des Fanclubs Alte Meister abzuholen. Das wirklich gelungene Stück zeigt Meister Yoda, der eine ewige Wahrheit ausspricht: „Die einzige Möglichkeit St. Pauli ist“. Zurück zum Auto, die Tapeten für eine kleine Privat-Choreo abgeholt und schnell in die Nordkurve, wo die Wetterseite schon auf Verteilung wartete: Termine, Termine.

Trotzdem blieb noch etwas Zeit, um den neu hergerichteten Container von Nord Support zu bewundern. Einfach super geworden. Dank des Einsatzes meiner Geheimwaffe (Simon, 5 Jahre, Kulleraugen) war ich meinen Stapel der Kurvenzeitung relativ schnell los. Und ab ging es in den Block N2. Dort freute ich mich erstmal, dass trotz der kurzfristigen Ankündigung der Aktion neben Braun und Schwarz auch viel Rot zu sehen war. In allen Ecken des Stadions, aber besonders imposant in der Süd als Teil einer großen Choreo und direkt vor meiner Nase auf den Nord-Stehplätzen eine riesige Jolly-Rouge-Fahne. Die Botschaft war klar: Die Versuche, den Verein während der Bundesliga-Saison stärker auf dem Kommerzkurs zu steuern, sind bei den Fans nicht vergessen. Die Mitgliederversammlung in neun Wochen wird sicher spannend.

Doch St. Pauli-Fans haben ein großes Herz. An mehreren Stellen im Stadion zeigten sie Solidarität mit dem wackeren Michael Oenning, der unsere Nachbarn aus St. Ellingen entschlossen auf einem klaren Kurs steuert und als einziger bei dem Vorstadtverein begriffen hat, dass man auch mal zwei Schritte zurück machen muss, um einen vorwärts tun zu können. Dafür wird er in den eigenen Reihen unverständlicherweise angefeindet. Aber eine kleine, aber meinungsstarke Gruppe von St. Pauli Fans namens IPO (Initiative pro Oenning) forderte in der Nordkurve kompromisslos: Oenning bleibt!

Nach so vielen großen Gesten war es Zeit für ein Fußballspiel – und was für eins. St. Pauli startete gut, aber die Löwen hielten zumindest auf dem Spielfeld dagegen, während sich der Anhang stimmungsmäßig eher in der eigenen Hälfte einigelte. Kurz vor der Pause die kalte Dusche. 0:1 durch einen berechtigten Eltmeter, verhängt durch Babak „Paadie“ Rafati. Der Skandalschiri vermochte es einmal mehr, die Fans auf beiden Seiten zu überraschen – durch eine solide und überwiegend fehlerfreie Leistung.  Fehlerfrei war unsere Defensive kurz nach der Pause nicht. Tschauner wehrte einen Schuss von Volland direkt zum armen Kevin Schindler ab, der per Bogenlampe ins eigene Tor traf.

Nach ein paar Schocksekunden riss sich die Nordkurve zusammen und machte gemeinsam mit den anderen Stadionbereichen so richtig Lärm. Besonders erwähnenswert: Nach vielen mehr oder weniger gescheiterten Versuchen gelang mal ein Wechselgesang mit der Gegengerade. Das könnte gern öfter mal klappen. Wobei wir uns  wohl auch mal an die eigene Nase fassen müssen. Untere und obere Nordstehplätze sind beim Singen bis zu zwei Sekunden auseinander – und die Stehplätze haben noch mal ein anderes Tempo. Das ist noch Potenzial.

Bei mir selber machte sich nach rund 50 Minuten doch eine gewisse Niedergeschlagenheit breit. Ich schaute nach unten und sah das T-Shirt mit Meister Yoda aus meiner Jackentasche baumeln. Während Trainer Schubert Sliskovic zum Einwechseln beorderte zog ich kurzerhand mein Jolly-Rouge-Shirt aus – und das Shirt der Alten Meister an. Eine Minute später fiel der Anschlusstreffer durch Ebbers – und das Stadion explodierte. Keine zwei Minuten später der Ausgleich durch Schachten. Dummerweise wies ich meine Nebenleute auf den zeitlichen Zusammenhang zwischen Klamottenwechsel und der Wende des Spiels hin. Fortan hatte ich ein dezentes Problem am Hals. Nach dem 3:2 durch Kruse begannen einige Nebensitzer dem Meister Yoda zu huldigen und wollten ihn sogar küssen.

So ein abergläubischer Quatsch. Auf der anderen Seite: Das 4:2 nach dem Sololauf von Kruse an sechs Münchnern vorbei  – das kann doch eigentlich nicht mit rechten Dingen zugegangen sein.