Für die Scheißstimmung verantwortlich

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Leidenschaftliche, aber disziplinierte Fans, die ordentlich mitgingen – und ein geschlossener Auftritt unserer Mannschaft: Wer das in der vergangenen Woche beim FC St. Pauli sehen wollte, der musste schon zur Jahreshauptversammlung ins CCH kommen. So ziemlich das Gegenteil brachte die mit Spannung erwartete Partie gegen Dynamo Dresden – zumindest in der 1. Halbzeit.

 

Aber von Anfang an: Gut eine Stunde vor Spielbeginn fing es an zu tröpfeln, und wenige Minuten später wehte ein ekeliger Nieselregen, von einem starken Nordwestwind gepeitscht, in die Kurve. Folge: Schon weit vor dem Anpfiff waren alle Nordsteher und die meisten Nordsitzer so nass, als hätten sie einen Kollateralschwenk des Wasserwerfers 10000 abbekommen. So mancher St. Pauli-Fan fragte sich, wer eigentlich an diesem Tag bestraft werden sollte – die vom eigenen Verein ausgesperrten Fans der SG Dynamo, die sich wohlig vor dem Fernseher rekelten – oder die in der Kurve bibbernden St. Paulianer. „Hier könnten Eure Fans stehen“, stand auf einem auch im Fernsehen gezeigten Transpi im Gästebereich der Nord. „Tun wir aber zum Glück nicht“, dachte sicher der eine oder andere Dresdner und füllte sich auf seinem Sofa ein Radeberger ein. Ein anderes Transpi in der Süd brachte es auf den Punkt: „Fußball ohne Gästefans ist wie Elfmeter ohne Torwart“, stand dort.

Und das passte: Die Kombination aus Dauerregen, dem Fehlen von Konkurrenz aus dem Gästeblock und einem echten Grottenkick ließen eine Stimmung aufkommen, die an die Business Seats von Hoffenheim oder an organisierten Support-Boykott erinnerte.

Vor meinem geistigen Auge erschien Uli Hoeness und schnauzte mich an. „Ihr seid doch für die Scheißstimmung hier verantwortlich“. „Schnauze, ich friere“ raunzte ich zurück. Nach der Pause wurde zumindest das Spiel etwas besser. Unsere Mannschaft machte nun Druck und spielte auf die Nordkurve, so dass es etwas mehr Ablenkung gab.

 

Dann gab es eine kalte Dusche. Einen der wenigen Gästekonter nutzte Dedic zum 0:1. War ja klar.

Jubel aus 100 bis 200 Kehlen machte übrigens klar, dass einige Dresdner Fans das Kartenembargo des eigenen Vereins ausgetrickst hatten. Ich hätte es genauso versucht. Wenig überraschend, dass ein großer Teil der Dresdner im Außenblock der Haupttribüne Platz gefunden hatten. Dort finden auf rätselhafte Weise (Sponsorenkarten?) immer wieder Gästefans den Weg in den Heimbereich. Aber auch in N4 und N5 wurden gelb-schwarze Schals geschwenkt. Das bedeutet im Klartext: Mitglieder oder Dauerkartenbesitzer haben ihre Tickets, beispielsweise über ebay, an Gästefans weitergegeben und sich vermutlich ein schönes Sümmchen verdient. Immerhin benahmen sich die Gästefans im Norden überwiegend, ganz im Gegensatz zu einem Grüppchen, das in der Südkurve offenbar den Dicken machte und dann aus dem Block begleitet wurde.

 

0:1 also und neben Frost nun auch Frust: Doch innerhalb von fünf Minuten drehte der magische FC die Partie und ging durch Boll und Naki 2:1 in Führung. Normalerweise sollten die Fans die Mannschaft aus einem Tief holen. Diesmal war es umgekehrt. Zumindest phasenweise erreichte die Nordkurve in den letzten Minuten annähernd Normalform. Als Ebbers sogar auf 3:1 erhöhte spürte ich sogar meine Füße wieder.


Trotzdem: Ein Spiel ohne Gästefans brauche ich nicht so schnell wieder. Aber vermutlich wird es in Zukunft immer öfter passieren, und auch wir können nicht sicher sein, unsere Elf auswärts begleiten zu dürfen, wenn wir es wollen. Polizei aber auch DFB/DFL könnten auf so eine Maßnahme verfallen, um vermeintliche Sicherheitsprobleme in den Stadien zu lösen. Vermeintlich deshalb, weil es Anfang bis Mitte der 90er durchaus Zeiten gab, wo man als Auswärtsfan tatsächlich Zeiten erleben konnte, in denen man Angst um seinen Zahnstatus haben musste. Ganz ehrlich: Von diesen Zeiten sind wir weit entfernt. Auch deshalb darf der Versuch, mittels Kollektivstrafen die Fankultur auszubremsen, nicht hingenommen werden.

Um mal mit einer guten Nachricht abzuschließen: Die eingangs erwähnte JHV brachte auch für die Nordkurve ein wichtiges Ergebnis. Ohne Gegenstimme winkten die Mitglieder einen gemeinsamen Antrag von Fans aus der Nordkurve und dem Präsidium durch, der sicherstellt, dass es auch nach dem für  2014 geplanten Umbau mindestens 2000 Stehplätze geben wird!