Spielbericht 4. Spieltag

Details

FC St Pauli gegen HSV (0:0) 1:1
So. 19.09.2010, 15:30 Uhr

Die anderen:
Wie ihr es von mir gewohnt seid beginne ich damit, den Gegner vorzustellen. Und ich gestehe, ich mache das reichlich ungerne. Doch wie kommt das?
Ist doch der Fusionsverein von 1919 eine der sozialsten Einrichtungen im Hamburger Umland. Tatsächlich werden spätestens alle vierzehn Tage die Tore, unfern der Müllverbrennungsanlage in Stellingen geöffnet und genau jene Menschen aufgenommen, die wir, zum Teil, nicht bei unserem geliebten FC St. Pauli haben wollen. Und damit meine ich nicht unbedingt den nach seinem Kokainabsturz rehabilitierten Lotto King Karl oder dieses blaue Dino–Maskottchen. Sportlich hat der seit den sechziger Jahren heimatlose Verein (Aufgabe des Stadions Rotherbaum – passend zur Imtech-Arena jetzt ein Einkaufs- und Gewerbezentrum) einige Titel mehr als St. Pauli zu bieten. Den Ansprüchen eines der reichsten Vereine in Europa genügt es aber nicht vor weit mehr als 20 Jahren den letzten Titel in der Hand gehabt zu haben. Umso beharrlicher kämpft man im internationalen Geschäft … Verzeihung! Dieses Jahr nicht! Dafür erreichte der „Liga Dino“ diese Saison das selbe wie der FC St. Pauli: 2010/11 in der Bundesliga spielen zu dürfen!

Vor dem Spiel:
Was waren das für Wochen vor dem Spiel? Sowohl in den Gruppen als auch bei den Nord-Support - und Nordvernetzungstreffen qualmten die Köpfe. Man machte sich immer wieder Gedanken wie man den Tag angehen würde. Früh war klar, dass das Spiel am Millerntor stattfinden würde, so dass Nordsupport mit einer eigenen Choreo aufwarten könnte. Und das erstmals koordiniert mit allen anderen Kurven gemeinsam, aber dazu später mehr.
Und dann die Geschichten die man hörte: Angriffe auf Fans und ihre Räumlichkeiten und eine von den Medien mitgetragene Aufregung machte sich in der Stadt breit. Und so war man froh, sich freitagabends mit den anderen Vorbereitern in der Südkurve zum großen Basteln zu treffen.
Etwas Ablenkung und doch mit seinesgleichen zusammen sein. Den Samstag überstand jeder auf seine Weise, doch Sonntag um 12 ging es für uns wieder los. 3 ½ Stunden vor Anpfiff wurden Konfetti, Bierglasrosetten und und und in Stellung gebracht und das Stadion für den das Derby geschmückt. Dann ging es noch mal raus zu tendenziell mehr als einem einzigen Bier in der Alkoholbannmeile. Und dann…

Das Spiel:
Weiterhin gilt der Leitsatz: Zuerst die Mannschaft, dann die Fans. Spielbericht vor Stimmungsbericht!
Zuerst folgendes: Es war ein Derby! Derbies zeichnen sich nicht durch überragende Technik, Spielwitz oder Zauberfußball aus, sondern durch Kampf, Krampf und Angst! Es geht darum wer die Zentner Blei am besten oder effektivsten aus den Knöcheln geschüttelt kriegt und nicht darum, wer am süßesten um den Ball tänzelt. Vor allem Hamburger Derbys zeichnen sich seit dreißig Jahren dadurch aus, dass die eine Mannschaft schlecht spielt und die andere halt aus dem Pinneberger Raum kommt. Und so ging ich mit einer ganz anderen Sichtweise in dieses Spiel als z.B. gegen Hoffenheim. Bald jedoch verflog meine Nervosität und zwar, weil ich sah, dass St. Pauli richtig mithalten konnte. Traditionell wünschte ich mir mehr Kampf und mehr Grätschen, aber die Jungs hatten defensiv wirklich alles im Griff. Van Nistelroy wirkte harmlos wie ein Freizeitkicker, so gut wurde er von unserer Abwehr abgeschirmt. Lücken entstanden kaum und erst nach einer halben Stunde kamen die Gäste zur ersten nennenswerten Offensivaktion als einer von denen (wer? Irrelevant!) mal aus zweiter Reihe abzog und das Außennetz traf. Das war es aber schon alles in Halbzeit eins. Obwohl wir weniger Spielanteile hatten, machten wir einiges mehr daraus als die Gäste, wenn es auch hauptsächlich Ecken gewesen sind. Über die gefühlten 200 Ecken muss aber noch ein Wörtchen gesprochen werden – aber besser ich spar mir meine Vorschläge und lasse Stani seine Arbeit machen. Das bringt meines Erachtens mehr, als im Netz darüber zu lamentieren wie kacke die Ecken jedes mal waren. Dass Ecken wahrscheinlich just in diesem Moment, wo ihr diese Zeilen lest (egal, welche Uhrzeit!), geübt werden ist anzunehmen!
Um die Sache abzurunden: Es war für uns mehr drin als der Halbzeitstand von 0:0, aber ich war hochzufrieden nicht zurückzuliegen. Angst bekam ich zu Beginn der zweiten Halbzeit. Da lief ja mal so was von gar nichts zusammen. Die Rothosen waren in der Lage unsere Hälfte zu belagern, wie einst die Römer das gallische Dorf. Kein Wunder! Unsere Helden bekamen kaum zwei Pässe in Folge auf die Reihe. Doch nach wie vor stand die Verteidigung fest wie der Fels in der Brandung.
Ich glaube, dies war auch die Spielphase, in der unser Kessler zum ersten Mal wirklich aktiv werden musste. Und da rettete er uns mindestens einmal den Arsch! Ich fühlte mich zurückversetzt in die abgelaufene Saison, als wir in der Hinrunde immer wieder eine gute und eine schlechte Halbzeit sehen durften. Ich hoffte also, dass wir wenigstens keinen Gegentreffer reinbekämen. Doch langsam erkämpfte sich St. Pauli wieder mehr Freiräume und das Spiel war wieder recht ausgeglichen und bot keine nennenswerten Spielsituationen.
Und dann kam Mr. Derby himself. Asamoahs Einwechslung in der 73. Minute brachte gleich ordentlich Wind mit. Gleich ging er in die Zweikämpfe und verschaffte unseren Jungs die zweite Luft. Der große HSV verlor mehr und mehr die Kontrolle und dann kommt das Unfassbare: Fabian Boll trifft in Minute 77 zum 1:0 !! In diesem Moment verlor ich vollends die Fassung.
Seit 8 Jahren spielt der Kommissar für uns. Er ist mit uns durch die Hölle namens Regionalliga gegangen und hat die Derbys gegen die Zweite der Vorstädter mitgemacht und nun trifft der Mann zum Führungstor beim richtigen Derby. Da wo es darauf ankommt – sensationell!
Anschließend versuchte unser FC das 1:0 zu halten und überliess dem HSV mehr Feldanteile. Dennoch schien die Sache erledigt zu sein - so lange bis Mladen Petric elf Minuten nach unserer Führung einen unhaltbaren Sonntagsschuss in die Maschen setzen kann. Die letzten fünf Minuten wurde lediglich das 1:1 gehalten. Zwei, drei Angriffe und Konter, die noch gefahren wurden brachten nichts mehr ein. Weg war er wieder, der Derbysieg. Und so groß die Hoffnung vor Anpiff war wenigstens ein Remis zu holen, so bitter schmeckte doch das Unentschieden doch am Ende.

Stimmung und Nordsupport
Als wir letzte Saison Geld für die Choreo gegen Rostock sammelten, war schon relativ klar wie jene auszusehen hatte. Doch zwei Dinge änderten sich. Zum einen fungierte der HSV als Hansa-Ersatz (die Vorgeschichte weshalb die Choreo jetzt mehrfach verschoben wurde spare ich mir) und zum Anderen änderte sich die Nordkurve an sich! Eigentlich war es die logische Folge der Rekonstruktion der Haupttribüne und dem Wegfall des Gästeblocks im Kuchenvernichtungsgebiet. Aber denke ich so weit? Beim Spiel gegen Hoffenheim stellten wir fest (hauptsächlich durch die Komprimierung unserer Körper, trotz der gewohnten Plätze), dass der Heimbereich deutlich verkürzt worden war. So beginnt der Gästeblock statt am 16er direkt am Tor. Unser Plan, die Kurve blöckeweise braun-weiss-rot-weiss-braun zu dekorieren wurde mangels Blöcken zu braun-weiss-braun-weiss geändert. Also wurde kurz vor Anpfiff jeder Block entsprechend mit Luftballons bestückt. Die Sitzplätze über uns bekamen zudem pro Kopf einen halben Zentner Konfetti und Bierglasrosetten bereitgestellt. Abgesehen von den obligatorischen Frühwerfern klappte das richtig gut und passte in das Bild der anderen Kurven, die ähnliche Choreos vorbereitet hatten. Und dann wurde auch gleich ordentlich Rabatz gemacht. Das „Aux armes!“ donnerte mit voller Kraft und dann folgte ein Schlachtruf auf den anderen. Das machte richtig Spaß. Wir müssen aber vielleicht lernen besser mit den Kräften auszukommen, denn zur Halbzeit wurde es wieder immer ruhiger. Obwohl um mich herum die Leute kaum noch konnten wurde in der zweiten Halbzeit weitersupportet oder zumindest spielbezogen mitgehechelt. Laut war das aber Anfang bis Mitte der zweiten Halbzeit nicht mehr. Zu meinem Bedauern hörte ich sogar gelegentlich den Gästeblock (wenn auch um einiges leiser, als von mir erwartet).
Als Asamoah eingewechselt wurde fanden aber auch in der Kurve die Leute neuen Mut und neue Kraft und es wurde wieder lauter. Und nach dem Führungstor gab es kein Halten mehr. Jede gelungene Aktion unserer Spieler wurde bejubelt und immer wieder angefeuert. Leider wurde es aber wie auch beim Hoffenheimspiel nach dem Gegentor wieder richtig still. Ja, ein spätes Gegentor geht derbe an die Nieren. Man möchte am liebsten einfach gehen und die Tauben vom Fußweg treten. Hier wünsche ich mir persönlich aber eine ausgeprägtere „Jetzt erst recht“ – Haltung. Einmal noch alles geben um die Mannschaft anzufeuern. Wir geben alles in der Kurve und die Mannschaft gibt ihr letztes auf dem Platz. Aber natürlich hoffe ich, dass wir erstmal von solchen Situationen Ruhe haben. Ich bin auf jeden Fall froh darüber, dass das nächste Derby erstmal ein halbes Jahr hin ist und dass wir, Mannschaft und Fans, erneut gezeigt haben, wer St. Pauli ist und warum für uns dieser Verein die Nummer eins ist.