Stinkig, aber heil

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Kennt Ihr den Geschmack im Mund, den man am nächsten Morgen überhaupt nicht mehr wegbekommt, wenn eine Feier besonders lang und gut war, das Essen schmeckte, die Getränke passten und der Tabak bis zum Ende gereicht hat? Es ist ganz ähnlich wie die gefühlten Faulgase, die ich oral abzusondern scheine. Die Schläfen tun ein bisschen weh vom Zähneknirschen, der Rücken ist gebeugter als normal und die Cola schmeckt einfach nur nach Zucker. Widerlich! Warum? Für mich ganz überraschend standen wir ganz oben an der Zweitligatabelle. 13 Punkte. Fast nur gewonnen. Selbst Frankfurt hat uns nicht knacken können. schnell trat ich mit breiter Brust auf. Mir/uns konnte keiner was anhaben. Während HSV und Rostock immer weiter gen Tabellenkeller sanken, wurden wir zu den Cracks. Jede Woche ging die Feier weiter und genau an dem Punkt, wo man überhaupt nicht mehr an das Ende der Gaudi dachte, wurde es dunkel vor Augen und der Griff zur Jägermeisterpulle ging ins Leere.  Ausgerechnet in Braunschweig.


Recht früh entschloss sich ein recht großer Haufen Nord-Supporter dazu, die Reise zum regionalen Derby zu machen. Unglaublich wie viele Stunden man braucht, um zum Nachbarn zu kommen. Schon kurz vor Sieben ging die Reise vom Hauptbahnhof per Metronom los. Im Gegensatz zu normalen Fahrten, wurde nicht gepennt, sondern sofort geklönt und teilweise gefeiert. Nach einem völlig ereignislosen Halt in Uelzen fuhr der nächste Zug mit Verspätung nach Hannover, wo man sich mit Getränken und Nahrung versorgte und dann mit der Bimmelbahn nach Braunschweig, die zehn Minuten vor dem Zug ankam, der eine Stunde nach uns in Hamburg losfuhr. Mittlerweile war die Stimmung sehr ausgelassen. Hätte die Polizei uns pinkeln lassen, wäre es noch besser gewesen, aber Ordnung muss sein. Per Shuttlebus mit Polizeieskorte ging es dann noch mal eine Stunde durch und um die frühere Hauptstadt des gleichnamigen Freistaates. Eine Qual für die Blase, aber auch für die Lachmuskeln. Der Partybus vor unserem wusste uns gut zu unterhalten. Zunächst wippte er wie eine Ghettokarre. Dann entschlossen sich die Insassen ihn zum Cabrio zu machen, dann setzte sich ein Fan auf das Dach und brachte den alten Polizeioberunterwachtdödel zum Meckern und Herumhüpfen wie einen Opi, dem ne Rübe aus dem Strebergarten gemopst wird. Als Zugabe wurden die Polizeiwagen dahinter mit Toilettenpapier dekoriert.
Natürlich kamen wir zu früh am Stadion an der Hamburger Straße an. Hier versorgten wir uns wieder mit Bier  und warteten auf die restlichen Nord-Supporter. Nach einiger Zeit ging die erste große Gruppe ins Stadion hinein. Mein Lob an die Ordner: So schnell hab ich noch nie so viele Leute durch ein Stadiontor gehen sehen. Leider schien dem Dienst das Tempo doch ein wenig zuzusetzen, denn als wir in der Schlange standen und rein wollten, mussten wir ewig warten bis wir alle drin waren. Dennoch fanden wir einen tollen Platz im Eingangsbereich.

Ja, Derbygegner, und man mag sich nicht, aber ich mag das „Eintracht-Stadion“. Es hat ne Laufbahn, erinnert aber noch sehr stark an die ganz alten Bundesligastadien. Jetzt da man auch endlich die Gästekurve erneuert und überdacht hatte, lud es auch richtig zum Singen ein. Und so brannte geradezu ein Feuerwerk beim  Erscheinen der Mannschaften ab. Zudem wurden Ballons in den Farben der Südkurve und Fahnen geschwenkt. Sah sicher klasse aus. Eine Choreographie der Braunschweiger konnte ich nicht erkennen, mir war aber auch irgendwie die Sicht genommen – zum Glück nur bis Anpfiff. Aus anderen Ecken des Gästebereiches hörte ich später anderes, aber da wo wir standen, war es durchgängig so laut, dass die Heimfans für mich nur dann zu hören waren, als das ganze Stadion mitmachte. Und das war nur ein paar Mal in der zweiten Halbzeit der Fall.

Zumindest anfangs gab es auch wenig Anlass für die „Löwen“ laut zu sein, denn in der ersten viertel Stunde wurden sie förmlich an die Wand gespielt. Doch die Taktik der Niedersachsen wurde immer deutlicher. Wenig Raum für St Pauli, früh behindern, auf Fehler lauern, Konter setzen. Der Schiri schloss sich dem Plan der Braunschweiger an. Immer wieder Fehlentscheidungen gegen uns, und so konnten die Blau-Gelben immer härter in die Zweikämpfe gehen. Geradezu zermürbend. Ein Handspiel im Strafraum wurde zudem schlicht übersehen – wobei ich mich immer noch frage wie das geht wenn der Ball unter dem Spieler liegt und der Feldspieler 10 Meter vorm Tor mit beiden Händen zupackt. Und dann musste sogar Boll kurz vor der Pause ausgewechselt werden. Auch wenn ich ein deutliches Übergewicht im Spiel der Gäste und einen geklauten Strafstoß gesehen habe, war anzuerkennen, dass auch die Braunschweiger ein gutes Spiel gezeigt und sogar Chancen aufzuweisen hatten.

Dennoch hielt ich unsere Führung nur noch für eine Frage der Zeit. Irrtum! Das Spiel wurde auch auf dem Feld zum Derby. Nicht schön, aber es wurde um jeden Millimeter gekämpft. Doch unsere Jungs machten Fehler, und die Heimmannschaft übte immer mehr Druck aus. Die Fans im Stadion schienen zu spüren, dass jetzt was gegen uns ging und machten das Eintrachtstadion zum Hexenkessel. Schon sehr beeindruckend für mich, aber leider auch für unsere Kicker, die sich immer weiter zurückzogen bis das Tor des Tages für die Löwen fiel.

Erst nach und nach befreiten sich die St Paulianer und übten ihrerseits Druck aus – sofern der Schiri nicht gerade mal wieder was dagegen unternahm. Ein klares Foul im Strafraum wurde kurz vor Ende wieder übersehen. War hier nicht schon mal so ein Spiel zwischen St Pauli und dem BTSV? Letztendlich waren es aber meistens unsere Spieler die den Ausgleich verhinderten. Kaum einer traute sich aufs Tor zu schießen, und lange Flanken gingen regelmäßig direkt ins Aus. Braunschweig hatte ein sehr gutes Spiel gemacht und alles umgesetzt, was sie sollten. So betrogen ich mich auch vom Schiri fühlte, kann ich der Eintracht nicht absprechen, verdient gewonnen zu haben. Letztendlich ist das aber Egal, denn eine Derbyniederlage ist immer Scheiße! Und diese tat besonders weh. 1. Platz abgegeben und den Aufsteiger in der Tabelle direkt im Nacken.

So ziemlich als letzte verließ unsere Gruppe das Stadion. Was folgte war eine geradezu lächerliche Odyssee. Mit dem Shuttle zurück zum Bahnhof, dann mit dem Zug nach Hannover. Dann im überfüllten Regionalzug nach Verden – wobei, nicht ganz, denn der Anschlusszug nach Rothenburg konnte schon auf einem Bahnhof ohne Bahnsteig genommen werden. Der Zug nach Rothenburg hatte allerdings Verspätung, so dass wir fast so stark befürchteten den Anschluss in Rothenburg zu verpassen wie wir uns später ins Hemd machten, ob der Zug nicht schlichtweg auseinanderfallen würde (das Mistding zuckelte erschreckend langsam, knackend und quietschend durch die Einöde). Das Material hielt aber noch bis Rothenburg zusammen, und dank der Verspätung des Metronoms wussten wir auch nicht in Rothenburg übernachten. Fast rechtzeitig zum Tatort kamen wir dann endlich wieder zuhause an. Stinkig, aber heil.