Trotz Omas Stinkefinger: Rostock ist braun-weiß

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"Wir holen die Meisterschaft und schießen Rostock ab, der DFB-Pokal ist uns scheißegal“ Bisher hatte der magische FC nur Teil drei des musikalisch formulierten Saisonziels seiner Fanszene erreicht – durch ein 1:2 beim Viertligisten Trier.  Am Sonnabend sollte nun der zweite Haken dran: Ein Sieg gegen den wenig geschätzten Erzrivalen von der Ostsee. Meine individuelle Anreise im Jahr 2009 hatte mir aufgrund leichten taktischen Fehlverhaltens ein Beinahe-Rendezvous mit der Zahnfee eingetragen. Deshalb schloss ich mich leichten Herzens den bewährten Reisegefährten von Nord Support an, einschließlich einiger netter Gäste deutlich über 20 Männer und Frauen.


Nach einigen Diskussionen hatten wir uns entschieden, uns dem Befummeln durch Team Green zu stellen und den Sonderzug des Fanladens ab Bahnhof Altona zu nehmen. Mäßig gelaunt reihten wir uns in eine lange Schlange vor dem Bahnhof ein, um uns auf Glasflaschen und Sprengstoff untersuchen zu lassen. Deutlich besser gestimmt zeigte sich ein Polizeiführer, der direkt neben den Kontrollen dem Fernsehen die Großtaten seiner Beamten im Kampf gegen die 800 Erzhooligans schilderte, die sich für den Sonderzug eingecheckt hatten.

Vielleicht waren es auch nicht ganz 800. Irgendwie wurde ich den Eindruck nicht los, dass sich eine größere Gruppe für eine alternative Reiseroute entschieden hatte. Die Kontrolle war für mich selbst überaus peinlich, wenngleich aus einem anderen Grund als erwartet. Der nicht mehr ganz junge Beamte musterte mich kurz und sagte. „Sie sind ja älter als ich“, und winkte mich kurzerhand durch. Klarer Fall von Altersdiskriminierung, aber keiner über den man sich beschwert. Gedanklich notierte ich ein ACAB-Tattoo für meinen Weihnachts-Wunschzettel.

Die Fahrt ging mit einiger Verspätung los, ganz ohne Schergen, dafür mit launigen Bahnbeamten („Rauchen Sie ruhig. Sie sollen sich hier wohlfühlen“), die uns „zwei oder drei Punkte“ in Rostock wünschten. Für Erfrischungen war durchaus gesorgt. Ein Besuch am Getränkestand von Fanräume ließ mich an das Lied von „Tonnenweise THC – für Sankt Paulianer; Hektoliterweise Bier – für eine Kurve völlig außer Kontrolle!“ denken, wobei ersteres Genussmittel allenfalls dezentral mitgeführt wurde.

Dank netter Ordner und Mitreisender hätte sich fast ein Urlaubsfeeling eingestellt, wenn nicht ab dem Eintreffen in McPom an jedem Bahnhof und jedem Bahnübergang Team Green zahlreich vertreten war. In Schwerin schien der gesamte Bahnhof gesperrt zu sein – möglicherweise eine Verbeugung der Polizei vor dem Wurftalent der einheimischen Bevölkerung. Immerhin startete der amtierende Diskuswurf-Weltrekordler Jürgen Schult seinerzeit für Traktor Schwerin.

In Rostock angekommen, begann der etwas kitzelige Teil: Der Transport mit Shuttlebussen vom Hauptbahnhof ins Stadion. Da unsere Popularität in Rostock, nun ja, etwas zu wünschen übrig lässt, hatte die Polizei diesen Weg gewählt, um den Kontakt mit den Einheimischen auf das notwendigste Maß zu beschränken. Unser mulmiges Gefühl konnte uns auch das Posting eines Rostocker Users im St. Pauli Forum nicht ganz nehmen. Der hatte Stein und Bein geschworen, dass durchschnittlich 8 von 12 Bussen heil und ohne Glasschäden ankommen.

Auf dem Hinweg war unsere Quote jedoch deutlich besser. Das lag wohl an den Absperrmaßnahmen der Polizei, die selbst für Umsympathen wie George W. Bush als leicht überzogen eingestuft worden wären.

Bei der Fahrt zum Stadion waren kaum Hansa-Fans zu sehen. Ein paar Pickelige führten eine putzige Mittelfinger-Choreo auf. Eine Frau um die 75 schüttelte ihre Faust und legte nach einer geringfügigen Provokation noch einen zackigen Mittelfinger nach. Was für eine harte Stadt! Und auf oma.ws ein klarer Punkt für Rostock!

Nach dem Eintreffen im noch ziemlich leeren Stadion ungefähr zwei Stunden vor Spielbeginn, begann umgehend das Unterhaltungsprogramm unserer Gastgeber. Stimmlich vorerst auf völlig verlorenen Posten posten sie am Rand des Pufferblocks herum.  Auf der Südtribüne war ein nettes Transpi  mit der Aufschrift „Antikapitalistischer Schutzwall“ aufgehängt. Das war es dann leider auch schon mit der Kreativität, ansonsten fehlten den Aktionen der Suptras, Wolgastä und Co. eine gewisse Leichtigkeit.

Der Gästeblock machte vor dem Spiel einen guten Job. „Scheiß-St.Pauli-Rufe“ wurden in einen Wechselgesang umgestaltet. Die Präsentation von St. Pauli-Fanklamotten, die der  Pöbel der thermischen Verwertung zuzuführen gedachte, wurde mit einem „Und ihr wisst, wo der Fanshop ist“ und „Rostock ist braun-weiß“ beantwortet. In der Tat sahen die angeblich gezockten Sachen verdächtig neu aus. Der Verdacht, dass die Rostocker ihr Sparschwein für diesen Programmpunkt geplündert hatten, verschärfte sich, als ein St. Pauli Fan seinen über e-Bay vertickten Schal unter den Devotionalien wiedererkannte.

Mit dem Eintreffen immer größerer Mengen von Heimfans wurde deren teuflischer Plan offenbar. Nachdem man sich in der Rostocker Fanszene unpolitisch gibt, sind Nazi-Provokationen dort aus der Mode. Und auch die 2008 noch gern genommene Rassismus-Nummer blieb stecken. Dafür wollte man uns ganz pitterpöhse beleidigen. „In Arsch; Ihr Homos“, hieß das Leitmotto auf einem Transpi, dessen Verfasser nicht nur bei einem kleinen grammatischen Detail daneben lag. Da hoffentlich kein St. Paulianer gleichgeschlechtliche Orientierung als abwertend empfindet, ging die Beleidigung ebenso wie die „Schwulä, Schwulä“-Rufe völlig ins Leere. Es dauerte auch ziemlich lange bis ich begriff, dass die Geste mit den beiden Zeigefingern, die die Hansa-Jungs unermüdlich zeigten, kein verunglückter Doppelstinkefinger war, sondern die Umsetzung des Tagesmottos.

Ebenso rätselhaft war das massenhafte Werfen mit Bananen auf unsere Spieler. Sollte es sich in Rostock nach 22 Jahren noch immer nicht herumgesprochen haben, dass die gebogenen Südfrüchte durchaus zum Verzehr geeignet sind? Ganz cool übrigens, wie unser Torwart Philip Tschauner den Bananenhagel abwartete und sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen ließ.

Das Spiel ist schnell erzählt und kein Ruhmesblatt für den FC St. Pauli. Schon nach acht Minuten ging die Motivationsbombe von Hansa-Trainer Vollmann nach hinten los, als sich Rostocks Spielmacher nach einem Ellenbogenschlag gegen Fabio Morena die Rote Karte abholte. Die restlichen Hansa-Spieler kämpften verbissen und gut. St. Pauli bekam aufgrund vieler Abspielfehler die Partie einfach nicht in den Griff. Das 1:0 von Kruse nach 40 Minuten war etwas glücklich. Die Fans waren sogar ziemlich glücklich, und es gab einen Alibi-Bengalo am Rande des Blocks.

Im nächsten Moment segelte eine Leuchtkugel auf unsere Gruppe zu und schlug zwei Reihen vor mir ein. Volltreffer, aber der Getroffene wurde zum Glück nicht schlimm verletzt.Böller explodierten, andere Leuchtkugeln zischten in den Block. Zumindest für mich überraschend steckte unser Block das ziemlich cool weg. Schiri Winkmann schickte die Teams in die Kabine, was die Gastgeber wohl ziemlich erschreckte.Jedenfalls war es in den Heimblöcken totenstill, und wir sangen uns die Seele aus dem Leib. Beim Anhören dieser Sequenz läuft mir noch immer eine Gänsehaut über den Rücken.

Ansonsten war der Support für ein solches Spiel gerade noch in Ordnung – oder sogar ein bisschen enttäuschend. In Cottbus und bei Union Berlin haben wir mehr hinbekommen – weiß der Teufel warum. Auch unsere Elf tat sich schwer nachdem die Partie fortgesetzt wurde. In Überzahl fiel das 1:1 durch Mintal. Erst in der Schlussphase, als Rostock die Kräfte ausgingen, setzte sich St. Pauli durch zwei Saglik-Tore doch noch durch.

Die große Feier mit den Spielern nach Abpfiff fiel leider aus, weil, äh eine Art Nebelbank sich über den Block legte. Zeit für einen raschen Abgang in Richtung Shuttle-Busse. Wir hatten Glück und erreichten den Bahnhof unversehrt, drei andere Busse bekamen den Zorn von Ronny und Nancy in Form von Steinwürfen zu spüren, wobei ein St. Pauli-Fan leicht verletzt wurde. Auf diesem Weg: Gute Besserung.

Die Rückfahrt verlief ereignislos – abgesehen von einem Farbbeutelwurf und einem weitaus schlimmeren Ereignis: Bier war alle.