Auf Augenhöhe mit Attila dem Hunnen

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Jeder versteht etwas anderes unter einer perfekten Auswärtsfahrt. Für viele gehört ein gemütlicher Spaziergang durch den Zielort vor dem Spiel dazu - und ein Bierchen danach im entspannten Ambiente – gern auch mit Fans der gastgebenden Mannschaft. Wer solche Erwartungen hegt, der konnte die Fahrt mit dem Fanzug zum letzten Saisonspiel bei Dynamo Dresden  glatt vergessen.

Doch von Anfang an: So gegen 5.30 Uhr morgens schlurften 24 übermüdete Nord-Supportler mitsamt Freunden am Bahnhof Altona in Richtung Sonderzug weiß und nahmen vier Abteile am Ende des Zuges in Besitz. Schnell war im Nichtraucherabteil ein Frühstücksbüfett hergerichtet und ein weiteres Abteil für die Langschläferfraktion mit Küchenfolie abgedunkelt. Mit Brötchen, Bioeiern, Wurst, Käse, Frikadellen und gebratener Hühnerbrust ging es gemächlich in Richtung Südosten – unter den begehrlichen Blicken anderer Fangruppen, die bei der Marschverpflegung einseitig auf Gerstenkaltschale gesetzt hatten.


Auf Höhe von Riesa mehrten sich die Anzeichen, dass es wohl keine normale Kaffeefahrt werden würde. Rund 15 gepanzerte Mitglieder von Team Green lümmelten sich auf dem Bahnstieg herum, gleichzeitig erreichte uns eine SMS aus dem voran fahrenden Zug Braun. „Die Bullen erwarten hier Krieg“, lautete die Botschaft. „Können wir eigentlich noch Randalemeister werden?“ entfuhr es einer Mitreisenden angesichts dieser Nachrichtenlage.

Wer dachte, dass der SMS-Versender ein klein wenig übertrieben hatte, sah sich bei der Ankunft am Dresdener Hauptbahnhof getäuscht. Die Polizeipräsenz hätte selbst Gewalttätern historischen Ausmaßes wie Attila dem Hunnen alle Ehre gemacht. Der Bahnsteig war hermetisch abgeriegelt. Gepanzerte Hundertschaften, unterstützt von Panzerfahrzeugen, machten klar, dass es nur einen Weg in die Glücksgas-Arena (so heißt die Sportanlage der Dynamos wirklich) gab: die von der Trachtengruppe definierten Route per Shuttlebus. Lediglich die Wasserwerfer vermochten altgediente Straßenkämpfer nicht ganz zu überzeugen. „3000 Liter nur. Wie wollen die uns denn stoppen?“, grinste ein Mitreisender, bestieg aber den Bus dennoch lieber ohne entsprechenden Praxistest.

Die rasche Fahrt ins Stadion bot keine Möglichkeit zur Kontaktaufnahme mit der heimischen Bevölkerung. Man konnte allerdings fast den Verdacht bekommen, dass eine entsprechende Annäherung von Seiten der Dresdener auch gar nicht erwünscht war. Der Chronist zählte mehr gestreckte Mittelfinger als in Rostock, was allerdings auch mit den etwas weniger rigorosen Absperrmaßnahmen der Dresdener Polizei zu erklären gewesen sein könnte.

Verglichen mit dem Zusammentreffen mit den Ordnern der SG Dynamo fiel der lose Kontakt zu den einheimischen Fans jedoch geradezu herzlich aus. Mit aufreizender Langsamkeit nahm der VEB Ordnungsdienst seine Tätigkeit vor den Stadiontoren auf. Dazu gesellten sich bösartige, teilweise demütigende Körperkontrollen und willkürliche Verbote. Ein ACAB-T-Shirt wurde beschlagnahmt. Auch der eine oder andere bekennende Antifaschist wurde vor die Wahl gestellt, sich entweder von einem Teil seiner Habe zu trennen oder auf den Besuch im Stadion zu verzichten. Nord-Support sah sich einer eingehenden Begutachtung des Fahnenstocks der Herzfahne ausgesetzt. Der maßgebliche Oberkontrolleur hatte sich in den Kopf gesetzt, dass vier Meter lange Teil erst dann zuzulassen, wenn er einmal hindurchgesehen hatte. Dies verhinderte zunächst ein Klebeband und dann ein neugieriger Nord-Supportler, der den Kontrolletti von der anderen Seite der hohlen Rohrs begutachtete.

Dafür, dass sich die St. Pauli Fans angesichts dieser Schikanen nicht zu einem Blocksturm entschlossen, ist eigentlich der Friedensnobelpreis fällig. Zur Deeskalation trug seitens des Ordnungspersonals nur der eingesetzte Sprengstoffhund bei. Er versah seinen verantwortungsvollen Job stets mit einem Schwanzwedeln und beschnüffelte den Gästefans ohnehin lieber das Hinterteil als sie nach Kriegswaffen zu untersuchen.

Im Block angelangt bot sich den St. Paulianern ein eigenartiges Bild. In direkter Nachbarschaft zum Gästeblock marschierte eine eigenartige Truppe auf. Ein Blick auf die Oberarme ließ einen Betriebsausflug der örtlichen Muckibude vermuten – gepaart mit dem Verdacht, dass das Verbot von Anabolika in diesem Landesteil nicht allzu strikt gehandhabt wird. Genauso bemerkenswert war die Kleidung. Die XXLler waren in Polohemden in allen Farben des Regenbogens gewandet. Offenbar hatten die Herrschaften ein Depot des Textilherstellers Benetton aufgestöbert, in dem dieser kurz nach dem Fall der Mauer unverkäufliche Freizeitmode entsorgt hatte.

Nach herzlichster Begrüßung durch das Ordnungspersonal begannen die Muskelprotze, die Fans in der Gästekurve finster anzustarren. Dabei verzichteten sie auf jeglichen Support zugunsten der SGD. Eine Erklärung für diesen anscheinenden Mangel an Enthusiasmus ließ sich schnell finden. Hatten den Herren ihren rechten Arm erst einmal erhoben, bekamen sie ihn so schnell nicht wieder nach unten. Nix Muckibude also, sondern Freie Kameradschaften bei ihrer Wochenendbeschäftigung. Plus ein merkbefreiter schwarzer Hool, der bei einer gepflegten Hauerei wohl nicht allzu viel Wert auf passende Gesellschaft legt.

Neben ihm stachen zwei Vollpfosten aus der dumpfen Masse heraus. Zum einen Heinrich, der uns mehrfach den Bürzel entgegenreckte, um uns darauf aufmerksam zu machen, dass seine Hose ein Produkt der Haute Couteur für Nazis mit dem Markennamen Thor Steinar ist. Ist zwar laut Stadionordnung in Dresden verboten, aber für enge Freunde der Ordner wird da offenbar mal ein Auge zugedrückt. Zweite Ausnahmeerscheinung war Adolf, der in seinem gestreiften Polohemd debil in Richtung Gästeblock grinste und dann und wann ein Erinnerungsfoto für den nächsten Kameradschaftsabend schoss.

Die Stimmung war sowohl im Heim- als auch im Gästeblock beeindruckend – wobei der Respekt für den lautstarken Dynamo-Support dadurch gedämpft wurde, dass sich einige Mitglieder von UD temporär von ihren Lieblingsgummipuppen getrennt hatten, um sie in St. Pauli-Klamotten zu stecken und die Rostocker Geschichte („Schwulää“) noch etwas bildhafter darzubieten als die Geistesgrößten von der Ostsee.

Highlight im Gästeblock war das laute Diffidati con noi – vor allem für die Stadionverbotler, die sich beim Schweinske Cup aktiv gegen den Überfall Lübecker Hools gewehrt hatten, und nun auf Betreiben des DFB und  der Hamburger Polizei in Dresden fehlte. Dieselbe Hamburger Polizei übrigens, die von den Nazisprüchen der Lübecker nichts mitbekommen haben will und die Angreifer sogar noch zum Bahnhof eskortiert hatte.

Nach der bitteren und unnötigen 0:1-Niederlage unserer Elf gegen die SG Dynamo ging es wiederum mit Shuttlebussen zurück zum Bahnhof und dort unter Aufsicht der erneut zahlreich aufmarschierten Trachtengruppler direkt auf den Bahnsteig. Fast sechs Stunden in der Stadt – und keinen  Dresdener gesprochen – nur Polizei und Ordner. Doch im letzten Moment änderte sich diese traurige Bilanz noch. Auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig standen zwei einsame Gestalten und beobachteten den Sonderzug „weiß“. Ein genauer Blick verriet: Es war kein anderer als Adolf, der sich mit einem weiteren rechtsextremen Kumpel an der Polizei vorbei in die Bahnhofshalle geschlichen hatte und nun dort mit seinen Fotoapparat im Anschlag stand. Vielleicht ein Schrei nach Liebe? Behutsam versuchten wir, mit einem unverfänglichen Thema den Dialog aufzunehmen. „Wie läuft es denn so mit der Antifa hier in Dresden“, fragten wir freundlich. Adolf grinste noch etwas breiter und riss seinen Fotoapparat hoch. Seine künstlerischen Ambitionen verhinderten, dass er ein Greifkommando der Polizei sah, das sich von links näherte. „Die beiden da haben versucht, uns Drogen zu verkaufen“, schallte es plötzlich aus unserem Zug. Adolfs Lächeln sah jetzt etwas angestrengt aus. Ein Zivilpolizist nebst zwei uniformierter Begleiter wollten jetzt sicherheitshalber mal einen Blick auf Adolfs Papiere werfen. Was die Ordnungshüter zu sehen bekamen, muss ihnen irgendwie nicht gereicht haben. Adolf und seine Eskorte verließen den Bahnstieg, wobei Adolf eine ungesunde Gesichtsfarbe zur Schau stellte. Adolf war der letzte Dresdener, den wir sahen. Schließlich war jetzt Zeit für ein zweites Frühstück und ein lauwarmes Astra. Unser Lokführer hatte seine Ernährungslogistik noch weiter perfektioniert. Bei seinem Unterwegsstopp in einem Bahnhof sah man den Eisenbahner an den Waggons vorbei Richtung Ausgang joggen. Auf der Flucht vor den Pauli Hooligans? Keineswegs. Kurze Zeit später kehrte er mit einer Pizza an seinen rollenden Arbeitsplatz zurück.