Reise ins Land des Lächelns

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"Guten Tag-ch, hierr sprie-cht Ihrr K-chapitän." Der Mann mit der ruhigen und freundlichen Stimme hatte sein bestes Hochdeutsch ausgepackt, und seine Worte verbreiteten bei den Passagieren das wohlige Gefühl, irgendwie schon angekommen zu sein. Dabei standen wir noch in Hamburg auf dem Rollfeld, und der Elan, mit dem der "K-chapitän" seine Begrüßung vortrug, ließ wohl nicht nur die zwei anwesenden Nord-Supportler für einen Moment daran zweifeln, ob er es wohl jemals schaffen würde, einen Airbus auf die für den Start notwendige Geschwindigkeit zu beschleunigen.

Schon vor Monaten hatte der FC Winterthur bekanntgegeben, dass es eine Neuauflage des letztjährigen Freundschaftsspiels geben würde. Die begeisterten Berichte über das Ereignis vom 3. September 2011 hatten wir noch im Ohr - das wollten wir auch einmal miterleben. So saßen wir nun am Samstagmorgen zu zweit in dem Fluggerät eines der zweifelhaftesten Ex-Sponsoren unseres Vereins; der Dritte im Bunde urlaubte gerade in der Schweiz und würde in Winterthur zu uns stoßen. Zunächst aber tat unser Pilot das, was an diesem Wochenende noch viele Schweizer tun würden: Er überraschte uns. Er brachte die Maschine nicht nur souverän in die Luft, er setzte sie sogar zehn Minuten vor der Zeit butterweich auf der vom Nebel verhüllten Landebahn in Zürich auf.

Wir inspizierten kurz unser supergünstiges Zimmer in einem direkt neben der Startbahn gelegenen Hotel, dann machten wir uns direkt auf den Weg nach Winterthur. Die vor den Toren Zürichs gelegene 100.000-Einwohner-Stadt empfing uns mit einem Blick auf die historische Altstadt, einer leckeren Pizza am Bahnhofsimbiss und der ersten Parallele zwischen dem ortansässigen und unserem Verein: Das Stadion "Schützenwiese" liegt mitten in der Stadt, keine zehn Minuten Fußweg vom Bahnhof entfernt. So standen wir schon weit vor Stadionöffnung auf dem sich langsam füllenden Platz vor dem Haupteingang. Schon hier herrschte angesichts des bevorstehenden Ereignisses allgemeine Feiertagsstimmung, um mitgebrachte Sixpacks herum bildeten sich erste gemischte Gruppen.

Nachdem auch Nord-Supportler Nummer drei eingetroffen war, passierten wir den Einlass und fanden uns mitten auf einem formidablen Volksfest wieder: Zwischen Biertischen und Fressbuden drängten sich bestgelaunt die Anhänger beider Vereine, der Verkaufsstand des Winterthurer Fanshops sah schon ziemlich geplündert aus, an einem anderen Stand konnte man Tickets für die sage und schreibe vier After-Match-Konzerte erwerben. Nachdem auch wir uns mit allem Nötigen versorgt hatten, machten wir uns auf den Weg über die Haupttribüne in die Südkurve, wo sich hauptsächlich St.-Pauli-Fans versammelt hatten.

Das Stadion Schützenwiese, oder "Schützi", wie der "Winti"-Fan sagt, hat seine besten Zeiten hinter sich. Die Haupttribüne ist aus den Fünfzigern und sieht auch so aus, die Gegengerade beherbergt auf der Außenseite Garagen und scheint relativ marode zu sein, die Stehplatz-Kurven machen mit ihren breiten, flachen Steinstufen zwar einen unverwüstlichen Eindruck, aber jeder Vereinspräsident mit Ambitionen würde hier die Möglichkeit sehen, durch einen steileren Bau mehr Zuschauer unterzubringen. So verwundert es nicht, dass auch beim FC Winterthur ein Stadionumbau geplant ist. Als erstes soll die Stehplatz-Gegengerade durch eine reine Sitzplatztribüne ersetzt werden. Am Ende soll das Stadion, das jetzt 8.500 Zuschauer (80 Prozent Stehplätze) fasst, eine Kapazität von 10.000 Plätzen mit fast 70 Prozent Sitzplätzen haben. Da wendet sich der Gast mit Grausen...

Die Winterthurer Fanszene jedenfalls machte weder vom Durchschnittsalter noch von ihrem Gesundheitszustand her den Eindruck, in naher Zukunft auf derartige Massen von Sitzplätzen angewiesen zu sein. Was wir dort antrafen, war ein munterer, bunt gemischter Haufen, überall freundliche, lächelnde Gesichter, allgemeine Wiedersehensfreude, verbunden mit diesem anscheinend allen Schweizern eigenen absolut tiefenentspannten Wesen. Kurzum, eine tatsächlich freundschaftliche Atmosphäre, in der man sich wohl und willkommen fühlt. Und das Wichtigste: Diese Freundschaft hat nichts Aufgesetztes, man hat nicht das Gefühl, dass da aus Marketinggründen auf den "Kult-Zug" aufgesprungen wird. Man fühlt tatsächlich eine Verbundenheit wie bei nur sehr wenigen anderen Vereinen.

Diese Verbundenheit zeigten viele einheimische Fans auch dadurch, dass sie neben ihren Farben zusätzlich die der Gastmannschaft trugen. Bei näherem Hinsehen und im Gespräch zeigte sich, dass eine ganze Reihe Winterthurer Fans dieses Spiel vom "Gästeblock" aus verfolgten. Ansonsten dominierten dort - wenig verwunderlich - St.-Pauli-Fans aus der Schweiz, Österreich und Süddeutschland. USP feierte in Hamburg Geburtstag, und so hatten wir diesmal einen Vorsänger, der mindestens doppelt so alt war wie seine von anderen Auswärtsspielen bekannten Kollegen, seiner Aufgabe aber mit mindestens dem gleichen Elan nachging. Seine Mühen waren leider nur selten von Erfolg gekrönt, denn die Leute waren nun mal hauptsächlich zum Feiern da. Und weil man gerade so schön am Feiern war, feierte man auch hier noch den USP-Geburtstag mit Rauch und Feuer und einer großen Glückwunschtapete.

Die allgemeine Feierstimmung schien sich auch auf unsere Mannschaft übertragen zu haben; viel Dramatisches passierte auf dem Platz jedenfalls nicht. Andre Schubert hatte Boller zu Hause gelassen und dafür - erfreulicherweise - gleich mehreren U23-Spielern die Gelegenheit gegeben, einmal mit der ersten Mannschaft zu spielen. Da passte natürlich nicht viel zusammen. Außerdem waren die Gastgeber wild entschlossen, eine Pleite wie im letzten Jahr zu verhindern, und in ihrer doppelten Viererkette rannten sich unsere Spieler immer wieder fest. Es hat sich also mittlerweile bis in die Schweiz herumgesprochen, dass wir gegen eine kompakte Abwehr derzeit kein Mittel haben. Immerhin schaffte Marius Ebbers in der 15. Minute das 0:1, aber noch vor der Pause glich Winterthur durch den beeindruckenden Benbondo völlig verdient aus. Die zweite Halbzeit fand dann nahezu vollständig im Mittelfeld statt, wobei Winterthur wesentlich engagierter, aber ebenso wenig erfolgreich zu Werke ging wie unsere Mannschaft.

Alle waren sich einig, dass ein Unentschieden für ein Freundschaftsspiel wie dieses das absolut perfekte Ergebnis ist. Also wurden beide Mannschaften gebührend abgefeiert, und anschließend verabschiedeten wir uns von der Schützenwiese und machten uns auf den langen Fußweg quer durch die Stadt zum Veranstaltungszentrum "Gaswerk", um diesem Tag bei zünftigen Punkklängen den Kronkorken -äh, die Krone aufzusetzen.

Vor der Halle bot sich schon bald ein Bild wie an Heimspiel-Abenden vorm Jolly Roger, was man hörte, waren aber ausschließlich alpenländische Dialekte. Und wieder fühlte man sich gleich zu Hause, und beim Öffnen der nächsten Bierdose verschwendete man glücklich einen kurzen, mitleidigen Gedanken an den Club vom Stadtrand, der sich selbst "Weltverein" nennt...

Dem Vernehmen nach kam die Anfrage an Slime, an diesem Abend hier zu spielen, direkt aus der Chefetage des
FC Winterthur. Die Band war dieser Bitte jedenfalls gerne nachgekommen, und nachdem zwei Schweizer Bands ("Ausgekotzt" und "Moped Lads" - auch schon großartig) die Party ins Rollen gebracht hatten, legte Slime einen denkwürdigen Auftritt hin. Sie spielten sich durch ihr gesamtes Repertoire und hatten offensichtlich überhaupt keine Lust, irgendwann mal aufzuhören. Es war ein rauschendes Fest, und als kurz vor Schluss der ganze Saal "Sankt Pauli leuchtet nur hier" sang, war dieser Tag endgültig zu etwas ganz Besonderem geworden.

Der Sonntag begann für uns folgerichtig erst am späten Vormittag. Unser Flieger ging erst am Abend, und wir wollten vorher wenigstens noch ein bisschen von Zürich sehen. Die Zeit dafür wurde dann doch etwas knapp, weil wir den Großteil des Tages damit verbrachten, gemütlich am Ufer des Zürichsees in der Sonne zu sitzen und unseren Kater mit einer ausgesprochen wirksamen Medizin der Marke Feldschlösschen zu bekämpfen. Immerhin reichte die Zeit dann noch für eine entspannte Bootsfahrt über den See und auf dem Fluß Limmat, der mitten durch die Altstadt fließt.

Zürich ist eine merkwürdige Stadt: Mit seinen knapp 400.000 Einwohnern hat es für einen Hamburger etwas Provinzielles, aber wer das Völkergemisch auf den Straßen sieht, muss zugeben: Zürich ist - zumindest optisch - mehr Weltstadt als Hamburg. Die Stadt steht seit Jahren ganz oben auf der Rangliste der teuersten Städte Europas (alles ist hier etwa doppelt so teuer wie bei uns), gehört aber auch zu den Städten mit den höchsten Löhnen und der höchsten Lebensqualität. Und das mit der Lebensqualität wurde an diesem sommerlichen Sonntagnachmittag besonders deutlich: Die Stadt war voller Menschen, die es sich einfach gut gehen ließen. Diese entspannte, freundliche Stimmung übertrug sich auch auf die beiden notorisch griesgrämigen Hamburger, die noch Stunden später mit einem Dauergrinsen im Gesicht im Flugzeug saßen und Pläne für eine gewisse Auswärtsfahrt im September 2013 schmiedeten.

Nachbemerkung:
Nach dem Spiel war der Presse zu entnehmen, dass der FC St. Pauli sich seinen Auftritt in Winterthur vom Gastgeber mit der Rekordsumme von 50.000 Euro plus Reisekosten hat bezahlen lassen. Jetzt kennen wir also den Preis der Freundschaft. Mögliche Spekulationen, dieses Geld würde jetzt in den Bau einer externen Polizeiwache investiert, entbehren natürlich jeder Grundlage...

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