Old School und weiße Taschentücher

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Old School? 80er Jahre Casuals? „Was zum Teufel ist das?“ Das Motto der Saisonabschlussfahrt des Fanladens mit den Sonderzug nach Kaiserslautern gab auch langjährigen Nord Supportern Rätsel auf.  Kein Wunder: Die Älteren hatten in der Glanzzeit der Football Casuals die besetzten Häuser in der Hafenstraße verteidigt oder Hamburger Bürger um eine Mark angeschnorrt. Die Jüngeren waren entweder noch gar nicht geboren oder liefen mit einer Trommel um den Weihnachtsbaum.
Kein Wunder, dass nur eine kleine Minderheit in die Klamotten von Fred Perry, Lacoste, Fila, Rewell und Co. gefunden hatte. Ein etwas größerer Teil hatte sich dem Stil der ersten Generation deutscher Hooligans aus den 80er Jahren angenähert und kam in Ballonseide-Trainingsanzügen – in Kauf nehmend, dass man haargenau in derselben Mode in Kaiserslautern aufschlug, den die dortigen Fans noch heute tragen. Die überwiegende Anzahl der Nord Supportler erklärte sich selbst als „Old School genug“ und zog dasselbe an wie immer.

Damit waren auch schon alle offenen Fragen geklärt. Die übrigen Rahmenbedingungen der Sonderfahrt waren fast schon Tradition. Dazu gehörte die gewöhnungsbedürftige Abfahrtzeit (3.40 Uhr) des Zuges ebenso wie der Umstand, dass es ein Nord-Support-Büfett und einen gut mit Bier bestückten Tresen im Zug geben würde. Zur Sicherung der Bierreserven hatten sich einige besorgte Nord-Supportler sogar schon eine Stunde früher aus dem Bett oder der Stammkneipe bemüht. Sie sorgten gemeinsam mit anderen Helfern dafür, dass eine Lkw-Ladung Getränke auf dem designierten Abfahrgleis zur Verladung in den Sonderzug bereit stand. Doch ob es angesichts der nächtlichen Stunde ein Missverständnis gegeben hatte oder das Stellwerk mit Rauten besetzt war: Der Zug hielt am Nebengleis, und die Getränke standen etwas verloren auf dem Bahnsteig. Die Organisationscrew entschied sich daraufhin für eine schwere Gefährdung des Bahnverkehrs und bildete eine Menschenkette quer über das Gleisbett. So gelangte auch der letzte Tropfen bis zur Abfahrt sicher an Bord.
Die vier Abteile von Nord Support bekamen die bewährte Aufteilung: Ein verdunkeltes Ruheabteil, ein Speiseabteil für das Büfett (und vier Vielfraße zu dessen „Bewachung“) und zwei Sitzabteile. Das ergab reichlich Platz für alle, zumal ein nicht unerheblicher Teil der Mitreisenden alsbald aufbrach, um im Tresen- und Partywagen nach dem Rechten zu sehen.
Nach einem kräftigen Frühstück mit Eiermuffins, Freakadellen, 80 Brötchen samt Aufschnitt, Kuchen und vielem mehr, was so zum Bier schmeckt, war alles zur Ankunft in der Region bereit.
Warum heißt Kaiserslautern eigentlich „die Region“? Nun ja, den Spitznamen hatten sich die Lauterer verdient, als sie unter ihrem Präsidenten Atze „Hau weg die Kohle“ Friedrich in eine gewisse finanzielle Schieflage geraten waren. Der FCK wurde damals nicht zuletzt durch Einsatz von Steuergeldern vor dem Ruin gerettet, „weil der Verein wichtig für die Region“ sei. Wie sich in Kaiserslautern zeigte, hätte man die Steuergelder auch für andere Zwecke gut gebrauchen können – nicht zuletzt zur Verschönerung der Innenstadt.
Während man bei anderen Sonderzugfahrten enttäuscht ist, dass einem ein paar Hundertschaften der Trachtengruppe den Weg in die Innenstadt blockieren, stellt sich die Situation in Lautern ganz anders da. Hier gab es zwar auch jede Menge Polizei, die den Auswärtsfans den Weg in die City versperrte. Aber man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Beamten die Gäste nur vor dem elenden Anblick der Stadt schützen wollten.
Über dem toten Städtchen thront – wie eine Trutzburg – das Fritz-Walter-Stadion auf dem Betzenberg. Für einen St. Paulianer ein geradezu einschüchternder Anblick. Weniger weil der magischer FC bis dato dort noch nie gewonnen hatte, sondern weil man als untrainierter Flachländer tatsächlich den ganzen Weg da zu Fuß hoch muss. (Die Lauterer sind zwar auch nicht fitter, kennen aber in aller Regel den Haltepunkt für die Shuttlebusse).
In der Tat machten die fliegenden Bierverkäufer auf dem Weg nach oben ein gutes Geschäft. An jeder Ecke hingen ausgepowerte St. Paulianer ab und hyperventilierten vor sich hin. Unser Mob hat durchaus schon mal einen stolzeren Anblick geboten.
Kein Wunder, dass sich nach der Einlasskontrolle gleich ein stechender Durst meldete. Erfreut stellte der Besucher fest, dass nicht nur „echtes Bier“ bereitstand, sondern sogar auch Wein aller Farben. Damit endete allerdings die Gastfreundschaft, denn um an das Gesöff heranzukommen. musste man zunächst eine Karte holen und mit Bargeld aufladen. Hatte man diese Prozedur unter leisem Fluchen hinter sich gebracht, folgte die nächste Überraschung. Eine Cola kostete 2,70 EUR. Da sollte man doch meinen, dass eine Aufladebetrag von 10 EUR für 2 Getränke reicht. Nicht auf dem Betzenberg: Da werden von den zehn EUR erstmal 2 EUR als Pfand für die Karte abgezogen. Der Becherpfand beträgt 1,50 EUR pro Becher: Macht fünf EUR Pfand – und somit nicht genug Restguthaben für den Erwerb von zwei Getränken. Bei so einem Geschäftsgebaren kein Wunder, dass der Landstrich wirtschaftlich nicht auf die Beine kommt.
Das Stadion selbst ist mit einem Fassungsvermögen von knapp 50000 durchaus beeindruckend, vor allem die steile Heimtribüne. Normalerweise sind die Lauterer Fans durchaus in der Lage, den Gästeblock niederzubrüllen, aber nicht an diesem Tag.
Zum einen nahm eine zügige Führung der Boys in Brown den Pfälzern ein bisschen die Lust am Support. Zum anderen zeigte sich der Gästeblock trotz langer Nacht und anstrengender Kletterpartie als ausgesprochen stimmgewaltig. Und als gut vorbereitet auf die Landessitten. Normalerweise verabschieden die Fans der Roten Teufel unterlegene Teams etwas herablassend mit dem Wedeln weißer Taschentücher. Diesmal bekamen die Heimfans nach dem 1:2 diesen Service aus dem Gästeblock.
Der Abmarsch blieb dennoch ziemlich problemlos. „Halt, wo wollen Sie hin? Wir gehen gleich alle zusammen“, wies eine Polizistin mit geradezu mütterlicher Strenge einen vorwitzigen St. Pauli Fan hin, der sich ohne Geleitschutz bergabwärts trollen wollte.
Abgesehen von einer kleinen Pöbelei mit ein paar Heimfans (Trikot, Trainingshose aus Ballonseide, Schnurbart), die am Gesang „Euer Stammbaum ist ein Kreis“ Anstoß nahmen, gab es keine besonderen Ereignisse. Im Bahnhof mischten sich ohnehin Heim- und Gästefans bunt miteinander.
Kurz vor Abfahrt hatte sich die Szene in Kaiserslautern dann doch formiert. Ein einsamer Hooligan stand auf dem leeren Nachbarbahnsteig und beschimpfte den Sonderzug ebenso kräftig wie ausdauernd. Mit diesem Anblick entließ uns die Region zu einer wilden Heimfahrt im Sonderzug mit wüsten Ausschweifungen aller Art. Der Chronist würde nur allzu gern darüber berichten. Aber wie heißt es so schön: Was im Sonderzug geschieht, muss auch im Sonderzug bleiben.

   
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